Bedeutet das, dass du dich übergriffig verhalten hast, aufdringlich warst und dass deine Worte oder Handlungen dazu geführt haben, dass sich jemand unwohl oder sogar unsicher gefühlt hat.

Das bedeutet nicht unbedingt, dass du ein schlechter Mensch bist. Viele übergriffige Verhaltensweisen werden von unserer Gesellschaft toleriert oder sogar gefördert. Seit unserer frühesten Kindheit haben wir alle diese Verhaltensweisen verinnerlicht und wiederholen sie oft, ohne uns dessen bewusst zu sein!

Jede Person macht mal einen Fehler. Wenn du erst einmal hier bist, möchtest du vielleicht lernen, dein Verhalten zu verändern. Und auch wenn du hierher gekommen bist, ohne eine Karte erhalten zu haben, bleibe gerne bei uns, es gibt immer etwas zu lernen. Denn nerviges Verhalten steckt in uns allen.

Eine Karte, ein Artikel

Du nervst ist eine Übersetzung französischer Karten. Während in der Originalversion sieben Karten verfügbar, wurden bisher nur zwei Karten auf Deutsch veröffentlicht. Die meisten Übersetzungen sind noch in Arbeit und sollten eigentlich in Kürze eintreffen: “Das ist sexistisch“, “Hör auf zu herrklären“, “Mimimi meine Privilegien“, “Ich unterstütze Dich” und “Ich glaube Dir“.

Wenn du helfen willst - oder wenn du Karten bestellen möchtest - kannst du uns gerne kontaktieren.
Du müsst dafür nicht unbedingt französisch sprechen!

Was ist, wenn ich übergriffig war?

Wenn du hier bist, weil dir jemand eine Karte gegeben hat, hast du irgendwo Mist gebaut. Ob es z.B. unter Alkoholeinfluss war oder aus Enthusiasmus heraus, spielt keine Rolle.

Wenn du dich übergriffig verhältst und dir das gesagt wird, streite es auf keinen Fall ab. Auch wenn du gute Absichten hast, ist jedes Verhalten unangemessen, wenn eine andere Person sich dadurch unwohl fühlt. Nimm die Bemerkung zur Kenntnis und höre sofort mit dem auf, was dir gesagt wird. Entschuldige dich dann, ohne eine Diskussion zu erzwingen, und bedanke dich bei der Person, dich darauf aufmerksam gemacht zu haben.

Konsens – Zustimmung

Wenn es um Konsens geht, hört man oft die Worte: „Nein heißt Nein“. Das stimmt auch, aber es noch viel komplexer als das. Das „Nein“ zu hören ist nur die erste Stufe beim Konsens und eine korrektere Formulierung wäre „Wenn es kein Ja ist, ist es ein Nein“ oder sogar „Wenn es kein begeistertes Ja ist, ist es von vornherein ein Nein“. Und schon das berücksichtigt nicht die möglichen verzerrenden Einflüsse, die eine Person dazu bringen kann, „Ja“ zu sagen, ohne wirklich Lust darauf zu haben.

Zudem bedeutet ein “Ja” zu einer Sache (z.B. Küssen) nicht automatisch ein “Ja” zu einer anderen Sache (z.B. sexuelle Handlungen) und ein “Ja” zu einer Sache zu einem bestimmten Zeitpunkt, bedeutet nicht, dass die Person das zu einem späteren Zeitpunkt immer noch will und dazu zustimmt!

Hier ist ein einfaches Einstiegsvideo, was Konsens/Zustimmung am Beispiel einer Tasse Tee erläutert:

Die Regeln des Konsens

Konsens/Zustimmung muss folgende Eigenschaften erfüllen, um gültig zu sein:

  • A priori: Die Zustimmung muss vor dem Handeln eingeholt werden, was jedoch nicht ausschließt, dass währenddessen und danach Verifizierungen und Rückfragen erfolgen.
  • Authentisch und enthusiastisch: Die Person muss ihre Zustimmung eindeutig geben. Ein „Wenn du willst“, „Warum nicht“ oder eine fehlende Antwort ist kein „Ja“, sondern ein „Nein“.
  • Frei: Es gibt viele Verzerrungen, die jemanden dazu bringen können, „Ja“ zu etwas zu sagen, obwohl die Person das nicht möchte: Gruppendruck, soziale Normen, Gewohnheit, die Angst, als prüde oder Spielverderber*in zu gelten, die Angst zu enttäuschen oder zu verletzen, ein Autoritätsverhältnis usw. Und natürlich ist eine Zustimmung, die unter physischem oder psychischem Zwang gegeben wird, nicht gültig.
  • Mit klarem Kopf: Eine Person, die Alkohol oder andere psychoaktive Substanzen konsumiert hat, ist möglicherweise nicht mehr in der Lage, ihre Zustimmung zu geben. Dies gilt natürlich umso mehr, wenn sie schläft oder bewusstlos ist oder wenn sie minderjährig ist.
  • Aufrichtig: Eine Einwilligung ist nicht möglich, wenn eine der beiden Personen lügt oder absichtlich bestimmte Absichten verschleiert.
  • Spezifisch: Die Zustimmung zu einer Sache ist nicht gleichbedeutend mit der Zustimmung zu allem. Man kann z. B. den Wunsch haben, eine Person zu küssen, ohne weiter gehen zu wollen. Auch ist die Zustimmung nur in dem Moment gültig, in dem sie gegeben wird. Nur weil eine Person heute „Ja“ gesagt hat, heißt das nicht, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zwangsläufig „Ja“ auch noch will.
  • Widerruflich: Zu jedem Zeitpunkt kann eine Person ihre Meinung ändern. Es spielt keine Rolle, wie oft „Ja“ zuvor gesagt wurde, beim ersten „Nein“ ist Schluss.

Wenn du dir nicht sicher bist, frag!

Du denkst, das Nachfragen unsexy ist?

Oft hört man das Argument, dass das ständige Vergewissern der Zustimmung der anderen Person den Wind aus der Fahne nehmen und unnatürlich sein würde. Das stimmt aber nur, weil wir alle – ohne Ausnahme – falsch zur Zustimmung erzogen wurden und Verhaltensweisen und Reflexe gelernt haben, die nicht normal sein sollten. Wie jedes Lernen und Dekonstruieren braucht es Zeit und Übung, um es flüssig zu integrieren. Außerdem ist es besser, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, auch wenn es Zeit kostet, als das Risiko einzugehen, unbeabsichtigt ohne den Konsens der anderen Person zu handeln. Es gibt nie „zu viel“ Konsens!

Konsens kann auch auf andere Weise als durch Worte ausgedrückt werden, aber es ist leicht, eine Geste, einen Blick oder einen Ausdruck falsch zu interpretieren. Am besten ist es immer noch, klar verbal zu kommunizieren. Obwohl wir seit unserer Kindheit in romantischen Drehbüchern eingelullt werden, die uns glauben lassen, dass alles eine Geschichte von Andeutungen ist:

Es gibt nichts, was sexyer ist, als eine Person, die fragt, bevor sie jemanden küsst. Und vice versa ist es super sexy zu wissen, dass die andere Person einen gerade wirklich küssen möchte!

Zudem: der anderen Person klarzumachen, dass alles gesagt werden kann und alles angehört wird, trägt dazu bei, gesunde und ausgeglichenere Beziehungen zu entwickeln.

Generell muss noch gesagt werden, dass oft von sexuellem Konsens gesprochen wird, weil ihr Fehlen schwere Traumata verursachen kann, aber Konsens gilt für alle Interaktionen mit anderen (und mit sich selbst)!

Konsens auf Partys

Die Liste ist nicht vollständig, aber hier sind einige Beispiele, die man im Rahmen einer Party beachten soll:

  • Achte darauf, dass die Person, mit der du dich unterhälst oder tanzt, auch wirklich Lust dazu hat, und ihr auf keinen Fall die Möglichkeit versperren, zu gehen, auch nicht unbeabsichtigt.
  • Zwinge oder ermutige niemanden zum Konsum von Alkohol oder anderen Drogen.
  • Achte beim Moshpit darauf, dass alle beteiligten Personen ebenfalls Lust haben und zwar in der gleichen Intensität.
  • Lege nicht die Hand auf die Schulter einer anderen Person (oder einen anderen Körperteil), ohne diese ausdrücklich um Erlaubnis zu fragen. Taktile Menschen neigen dazu, diese Geste mechanisch zu machen, ohne darüber nachzudenken. Das kann für manche Menschen übergriffig sein, auch wenn es keine Hintergedanken gibt. Wenn man gezwungen ist, sich durch eine Menschenmenge zu drängen und dabei Menschen zu berühren, um sich zu schützen, Zusammenstöße zu vermeiden oder vorbeigehen zu können, legt man die Hand leicht auf Schulterhöhe und nicht auf Taillenhöhe ab, und zwar ohne zu klammern.

Auf dem Weg zu einer Kultur des Konsens

Lernen, wie man Konsens ausdrückt

Bevor man die „Ich habe Nein gesagt“-Karte an Personen weitergibt, die sich nicht im Konsens handeln, kann man sie sich zunächst selbst geben, um sich daran zu erinnern, dass Konsens bei einem selbst beginnt. Viele Menschen haben nicht gelernt, ihre Grenzen zu setzen, und manchmal nicht einmal, sie zu erkennen. Und neben den Grenzen („was ich nicht will“) gibt es auch die Frage nach den Wünschen („was ich will“), die manchmal komplex sein kann, insbesondere für weiblich sozialisierte Menschen, die dazu erzogen wurden, auf die Wünsche von Männern zu reagieren.

Seine Grenzen zu äußern ist jedoch ein Geschenk, das man sich selbst macht, indem man sich nicht etwas aufzwingt, was man nicht möchte. Es ist auch ein Geschenk, das man dem anderen macht, denn abgesehen von missbräuchlichem Verhalten möchte niemand mit einem anderen Menschen ohne dessen Zustimmung interagieren. Wenn man sagt, dass man etwas nicht will, macht man sich selbst und der anderen Person ein doppeltes Geschenk. Warum sollte man es sich selbst vorenthalten? Die gleiche Argumentation lässt sich auch darauf anwenden, die eigenen Wünsche und Sehnsüchte zu äußern.

Und weil ein „Nein“ ein Geschenk ist, sollte man immer der Person danken, die Grenzen setzt, zumal das oft nicht leicht ist und Mut und Energie erfordert.

Wie Haszcara es so treffend in ihrem Song “Nein” ausdrückt:

Niemand außer mir kann meine Freiheit definieren
Und niemand außer mir kann meine Grenzen definieren

Denn niemand außer mir muss meine Grenzen an sich spüren

Mögliche Verzerrungen kennen – Bias

Wir haben uns bereits damit beschäfigt, wie schwer es sein kann “Nein” zu sagen. Dabei gibt es viele gesellschaftlich bedingte sowie individuelle Faktoren, die das mit bedingen – und Konsens sogar so beeinflussen können, dass wir “Ja” sagen und vielleicht sogar denken, obwohl wir das eigentlich gar nicht wollen. Diese verzerrenden Einflüsse – auch Bias genannt – sollten wir kennen, um für uns selbst emanzipierte Entscheidungen treffen zu können und ebenso für eine erweiterte Perspektive darauf, wenn wir eine andere Person nach Konsens fragen.

Hier sind einige dieser Bias, die Konsens beeinflussen können:

  • Die Forderung sofort eine Entscheidung treffen zu müssen, kann dazu führen, dass die Person eine Wahl trifft, die sie sonst nicht getroffen hätte.
  • Viele Menschen, insbesondere weiblich sozialisierte, haben negative oder sogar traumatische Erfahrungen gemacht, wenn sie in der Vergangenheit Grenzen gesetzt haben, die nicht eingehalten wurden.
  • Weibliche Sozialisierung beinhaltet oft die Weismachung, es sei unhöflich, klare Grenzen zu setzen und eindeutig “Nein” zu sagen.
  • Ebenso prägt unsere patriarchal organisierte Gesellschaft das Bild, FLINTA*-Personen müssten Männern gefallen, und fördert somit das Streben nach male validation – dem Streben nach positiver Aufmerksamkeit von Männern. Dies ist in vielen weiblich sozialisierten Personen tief verankert und kann auch im Rahmen von sexuellem Konsens dazu führen, dass über die eigenen Grenzen gegangen wird.
  • Die Angst davor, bei einer Zurückweisung Groll zu erfahren, kann Konsens beeinflussen und ist eine Erfahrung, die vor allem FLINTA*-Personen kennen.
  • Ebenso die Angst davor, dass die Person das Interesse an einem verliert, wenn man keine sexuelle Ebene mit ihr möchte oder bestimmte Praktiken nicht durchführen möchte, kann beeinflussen (das famöse Konzept der “Fuck Zone“).
  • Machtgefälle können eine Person denken lassen, sie könne nicht “Nein” sagen (z.B. zu ihrem Chef).
  • Substanzkonsum (Alkohol, Drogen) kann wie auch schon oben erwähnt eine bewusste Entscheidungsfindung verzerren.

Wichtig zu beachten ist, dass diese Liste sich auf verzerrende Einflüsse bezieht, die die Person betreffen, die ihren Konsens ausdrückt. Nicht beinhalten tut sie Manipulationen, ob bewusst oder unbewusst, die eine Person ausüben könnte, damit eine andere Person zu etwas zustimmt. Mögliche Manipulationsformen umfassen das Ausnutzen der genannten Bias, können aber auch darüber hinaus mit Druck und Schuldgefühlen “arbeiten” oder auf emotionaler Ebene stattfinden. Ein Einverständnis zu etwas, das unter Manipulation – ob bewusst oder unbewusst – gegeben wurde, ist niemals ein richtiges Einverständnis!

Einen Rahmen setzen, der Konsens fördert

Wenn man eine andere Person nach Konsens fragt, ist es daher wichtig, einen beruhigenden Rahmen zu schaffen, der besagt, dass jede Antwort akzeptabel ist und akzeptiert wird und dass eine negative Antwort nicht zu einer Änderung der Einstellung gegenüber der Person führt. Die erste Frage kann übrigens lauten, ob die Person Schwierigkeiten hat, „nein“ zu sagen.

Erst wenn dieser Rahmen geschaffen ist, kann man der anderen Person die Verantwortung ihren Konsens zu geben vollständig überlassen, ohne sie zu bevormunden und Entscheidungen für sie zu treffen. Jede Person ist dafür verantwortlich, ihren Konsens zu geben oder auch nicht zu geben, aber jede*r ist auch dafür verantwortlich, einen Rahmen zu schaffen, in dem der Konsens der anderen Person zum Ausdruck gebracht werden kann.

Ein „Ja“ hat nur dann einen Wert, wenn ein „Nein“ möglich ist. Und zu wissen, dass man jederzeit „Nein“ sagen kann und dass es gehört und respektiert wird, macht manchmal Lust, „Ja“ zu sagen – und wenn nicht, dann ist es wertvoll, die Grenzen der anderen Person zu kennen und zu respektieren.

Einige Tipps

Man sollte immer einer Person danken, die Grenzen setzt, denn das ist nie einfach.

Es ist leichter, mit einem „Ja“ als mit einem „Nein“ zu antworten. Wenn man das Gefühl hat, dass der/die Partner*in mit einer Aktivität (sexuell oder nicht) nicht einverstanden ist, sollte man fragen: „Willst du aufhören?“ statt „Willst du weitermachen?“. Sollte die Person jemals keine Lust haben, weiterzumachen, wird es ihr immer leichter fallen, dies mit der ersten Formulierung auszudrücken, da die Frage impliziert, dass das Beenden der Interaktion eine durchaus denkbare Option ist.

Der Mythos der Medusa

Wir werden immer wieder gefragt, warum wir Medusa als Figur für die „Ich habe Nein gesagt“-Karte gewählt haben. Ausgehend von einem frauenfeindlichen Mythos, in dem Medusa abwechselnd als hilfloses Opfer oder bösartiges Monster dargestellt wird, ist Medusa nach und nach zu einer feministischen Ikone geworden, die die sexistischen Erzählklischees umkehrt. Während die Gesellschaft und die Männer sie immer wieder objektivieren, behauptet Medusa ihre Rolle als aktives, begehrendes und handelndes Subjekt. Vom „male gaze“ geht sie zum „female gaze“ über. Und angesichts der Menschen, die sie über den Blick auf sie objektivieren, verwandelt sie diese im Gegenzug in Stein, also wortwörtlich… in ein Objekt!

Eine kleine Zusammenfassung des Mythos der Medusa und ihrer feministischen Neuinterpretation kann man hier finden:

Zur Vertiefung des Themas

Es gibt sehr viele weitere Ressourcen im Netz. Hier eine kleine Auswahl :

Queer Lexikon
Konsens in Sexualität und Beziehungen
Kritische Männlichkeit
Konsens und Zustimmungskonzept
Ole Liebl
Das Rad des Konsens
Schema
Das Rad des Konsens
“Konsens lernen”
auf deutsch im Heftformat
Interview mit Nadine Primo
über ihr Buch “Konsens ist sexy”