Konsens / Zustimmung
Wenn es um Konsens geht, hören wir oft: „Nein heißt Nein“. Das stimmt auch, aber es noch viel komplexer als das. Das „Nein“ zu hören ist nur die erste Stufe des Konsens. Eine korrektere Formulierung wäre „Wenn es kein Ja ist, ist es ein Nein“ oder sogar „Wenn es kein begeistertes Ja ist, ist es von vornherein ein Nein“. Und schon das berücksichtigt nicht die möglichen Verzerrungen (bias), die eine Person dazu bringen kann, „Ja“ zu sagen, ohne wirklich zustimmen zu wollen.
Zudem bedeutet ein “Ja” zu einer Sache (z.B. Küssen) nicht automatisch ein “Ja” zu einer anderen Sache (z.B. sexuelle Handlungen) und ein “Ja” zu einem bestimmten Zeitpunkt, bedeutet nicht, dass der Konsens zu einem späteren Zeitpunkt gegebn ist und nicht mehr eingeholt werden muss. Denn wir dürfen immer unsere Meinung ändern uns doch gegen etwas Entscheiden wozu wir eigentlich schon “Ja” gesagt haben.
Hier ist ein einfaches Einstiegsvideo, was Konsens/Zustimmung am Beispiel einer Teetasse erläutert:
Die Regeln des Konsens
Zustimmung bzw. Konsens ist nur dann gültig, wenn folgende Vorraussetzungen erfüllt sind:
- A priori: Zustimmung sollte grundsätzlich vor dem Handeln eingeholt werden. Gleichzeitig ist es wichtig, auch während und nach einer Handlung erneut nachzufragen und Zustimmung einzuholen.
- Eindeutig und überzeugend: Zustimmung muss eindeutig und überzeugt gegeben werden! Ein „Wenn du willst“, „Warum nicht“ oder Schweigen ist kein „Ja“ – sondern ein klares „Nein“.
- Zwanglos: Zustimmung muss immer frei von Druck sein. Es gibt viele Gründe, die jemensch dazu bringen können, „Ja“ zu sagen, obwohl das eigentlich nicht gewollt ist – zum Beispiel Gruppenzwang, soziale Normen, Gewohnheit, die Angst, als prüde oder Spielverderber*in zu gelten, die Sorge, jemensch zu enttäuschen oder zu verletzen, oder ein bestehende Machtasymmetrien. Jede Zustimmung, die unter physischem oder psychischem Zwang erfolgt, ist nicht gültig.
- Mit klarem Kopf: Eine Person, die Alkohol oder andere psychoaktive Substanzen konsumiert hat, kann unter Umständen nicht mehr in der Lage sein, ihre Zustimmung bewusst und freiwillig zu geben. Das gilt insbesondere, wenn sie schläft oder bewusstlos.
- Aufrichtig: Konsens ist nicht möglich, wenn eine der beiden Personen lügt oder bewusst wesentliche Absichten verschleiert.
- Konkret und zeitlich begrenzt: Konsens ist immer spezifisch. Ein „Ja“ zu einer Handlung bedeutet nicht automatisch Zustimmung zu allem. Du kannst zum Beispiel einverstanden sein, eine Person zu küssen, aber mehr nicht. Die Zustimmung zu einem Kuss, heißt das nicht, dass andere Handlungen ebenfalls gewollt sind. Außerdem gilt Zustimmung nur für den Moment, in dem sie gegeben wird. Ein „Ja“ heute garantiert kein „Ja“ morgen.
- Widerruflich: Zustimmung ist jederzeit widerruflich. Ganz egal, wie oft zuvor „Ja“ gesagt wurde – beim ersten „Nein“ ist sofort Schluss.
Wenn du dir nicht sicher bist, frag nach!
Du denkst, das Nachfragen unsexy ist?
Wir hören oft das Argument, dass ständiges Nachfragen nach Konsens den Moment kaputtmachen oder unnatürlich wirken würde. Das liegt jedoch nur daran, dass wir alle – Ausnahmslos – falsch aufgeklärt wurden und Verhaltensweisen und Muster als normal angesehen haben, die nicht normal sein sollten. Wie jedes Lernen und Dekonstruieren braucht es Zeit und Übung, um diese Haltung flüssig zu integrieren. Und am Ende gilt: Es ist besser, sich Zeit zu nehmen und auf Nummer sicher zu gehen, als das Risiko einzugehen, unbeabsichtigt ohne die Zustimmung der anderen Person zu handeln. Zu viel Konsens gibt es nicht!
Konsens kann auch auf andere Weise als durch Worte ausgedrückt werden, aber eine Geste, ein Blick oder ein Ausdruck können schnell falsch interpretiert werden. Am besten ist es immer noch, klar verbal zu kommunizieren. Auch wenn wir seit unserer Kindheit mit romantischen Scenarien gefüttert werden, die uns glauben lassen, Signale wie Blickkontakt, Körperhaltung oder Flirts genügen um zu wissen, dass wir begehrt werden und jemensch uns küssen möchte…
…ist nichts attraktiver, als eine Person, die fragt, bevor sie eine andere küsst. Genauso aufregend ist es zu wissen, dass die andere Person uns gerade wirklich küssen möchte!
Und unserem Gegenüber zu vermitteln, dass alles gesagt werden kann und alles gehört wird, trägt dazu bei, gesunde und ausgewogene Beziehungen zu entwickeln.
Wir hören häufig von Konsens in Bezug auf sexuelle Handlungen, weil sein Fehlen zu schweren Traumata und Strafbeständen führen kann, aber der Konsens gilt für alle Interaktionen mit anderen (und mit sich selbst).
Konsens auf Partys
Die Liste ist nicht vollständig, aber hier sind einige Dingen, die im Rahmen einer Party beachtet werden sollten:
- Achte darauf, dass die Person, mit der du redest oder tanzt, auch wirklich Lust dazu hat, und verwehre ihr auf keinen Fall die Möglichkeit zu gehen, auch nicht unabsichtlich.
- Zwinge oder ermutige Andere zum Konsum von Alkohol und andere Substanzen.
- Im Moshpit solltest du darauf achten, dass alle Beteiligten ebenfalls Lust haben angetanzen zu werden– und zwar in einem ähnlichen Maß
- Lege deine Hand nicht auf die Schulter (oder einem anderen Körperteil) einer anderen Person, ohne sie vorher ausdrücklich um Erlaubnis zu fragen. Personen, die gerne Körperkontakt haben, neigen dazu, diese Geste mechanisch auszuführen, ohne darüber nachzudenken. Das kann für manche Personen übergriffig sein, auch wenn du keine Hintergedanken dabei hast. Wenn du dich in einer Menschenmenge befindest und einen Ausweg suchst, kannst du zum Beispiel leicht auf die Schulter der Person vor dir tippen, um zu signalisieren, dass du vorbeigehen möchtest. Solltest du andere berühren müssen, um dich zu schützen, Zusammenstöße zu vermeiden oder vorbeizukommen, achte darauf: Berühre Andere nicht an der Taille und packe nicht zu!
Auf dem Weg zu einer Konsenskultur
Konsensuelles Verhalten Lernen
Bevor die „Ich habe Nein gesagt“-Karte an Personen weitergegeben wird, die sich nicht an Konsensregeln halten, kann sie zunächst sich selbst geben werden, um daran zu erinnern, dass Zustimmung und Konsens bei sich selbst beginnt. Viele haben nie gelernt, ihre Grenzen zu setzen, oder gar zu erkennen. Und neben der Frage nach Grenzen („was will ich nicht“) gibt es auch die Frage nach den Wünschen („was möchte ich“), die manchmal sehr komplex sein kann. Vorallem für weiblich sozialisierte Personen, die dazu erzogen wurden, auf die Verlangen von Männern zu antworten.
Eigene Grenzen zu äußern ist ein Geschenk an sich selbst – es bedeutet, sich nichts aufzuzwingen, was nicht wirklich gewollt ist. Gleichzeitig ist es auch ein Geschenk an andere Personen. Abgesehen von Täter*innen möchte kaum jemensch mit einer Person interagieren, die nicht einverstanden ist. Ein „Nein“ schenkt also beiden Seiten Ehrlichkeit und Sicherheit – ein doppeltes Geschenk. Warum sollte dieses Geschenk vorenthalten werden?
Die gleiche Überlegung lässt sich auch auf das Ausdrücken der eigenen Wünsche und Sehnsüchte anwenden.
Und weil ein „Nein“ ein Geschenk ist, sollte immer der Person gedankt werden, die Grenzen setzt, zumal das oft nicht leicht ist und viel Mut und Energie erfordert.
Wie Haszcara es so treffend in ihrem Song “Nein” ausdrückt:
Niemand außer mir kann meine Freiheit definieren
Und niemand außer mir kann meine Grenzen definieren
Denn niemand außer mir muss meine Grenzen an sich spüren
Mögliche Verzerrungen kennen – Bias
Wir haben uns bereits damit beschäftigt, wie schwer es manchmal sein kann, „Nein“ zu sagen. Dabei spielen viele gesellschaftliche und individuelle Faktoren eine Rolle, die unsere Entscheidungen beeinflussen, sodass wir “Ja” sagen und vielleicht sogar glauben, es zu wollen, obwohl das gar nicht der Fall ist. Diese verzerrenden Einflüsse – auch Bias genannt – zu kennen hilft uns, selbstbestimmte und emanzipierte Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig ermöglicht dieses Bewusstsein auch einen offeneren und sensibleren Blick darauf, wenn wir andere Personen um Zustimmung und Konsens bitten.
Hier sind einige dieser Biase, die Konsens beeinflussen können:
- Druck, sofort entscheiden zu müssen: Wenn Menschen das Gefühl haben, sich schnell festlegen zu müssen, kann das dazu führen, dass sie eine Entscheidung treffen, die sie unter anderen Umständen nicht getroffen hätten.
- Negative Erfahrungen beim Grenzen setzen: Viele Menschen (insbesondere weiblich sozialisierte Personen) haben erlebt, dass ihre Grenzen in der Vergangenheit nicht respektiert wurden, was dazu führen kann, dass sie zögern, ihre Grenzen erneut klar zu äußern.
- Soziale Normen: Weibliche Sozialisierung vermittelt häufig, dass es unhöflich sei, klare Grenzen zu setzen oder eindeutig „Nein“ zu sagen.
- Patriarchale Strukturen: Ebenso prägt unsere patriarchal organisierte Gesellschaft das Bild, FLINTA*-Personen müssten Männern gefallen. Dadurch entsteht das Bedürfnis nach „male validation“, also nach positiver Bestätigung durch Männer. Dieses Muster kann so tief verankert sein, dass es auch im Kontext von sexuellem Konsens dazu führt, über eigene Grenzen hinwegzugehen.
- Angst vor Ablehnung: Die Sorge, nach einer Zurückweisung auf Ablehnung oder Wut zu stoßen, kann Konsens beeinflussen. Diese Erfahrung mache vor allem FLINTA*-Personen häufig.
- Viele fürchten, dass eine andere Person das Interesse verliert, wenn keine sexuelle Ebene gewünscht oder bestimmte Praktiken abgelehnt werden – ein Mechanismus, der sich auch in Konzepten wie der sogenannten „Fuck Zone“ widerspiegelt.
- Machtgefälle: In Beziehungen mit ungleichen Machtverhältnissen, wie zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden, kann die untergeordnete Person das Gefühl haben, nicht „Nein“ sagen zu dürfen und unter Druck ungewollten Bedingungen zustimmen zu müssen.
- Substanzenkonsum: Wie bereits erwähnt, können Alkohol und andere psychoaktive Substanzen die bewusste Entscheidungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen und damit den Konsens verzerren.
Wichtig ist, dass diese Liste nur die Faktoren beschreibt, die die eigene Fähigkeit zur Zustimmung beeinflussen. Nicht berücksichtigt sind dabei manipulative Verhaltensweisen (bewusst oder unbewusst), die andere Personen einsetzen könnten, um deine Zustimmung zu erzwingen. Solche Manipulationen können auf den genannten Biases aufbauen, wirken aber oft zusätzlich durch Druck, Schuldgefühle oder emotionale Beeinflussung. Ein Einverständnis zu etwas, das unter Manipulation ist niemals gültig!
Einen konsens-sensibelen Rahmen schaffen
Es ist nur möglich, seine Grenzen, Wünsche und Sehnsüchte zu artikulieren, wenn das Umfeld dies zulässt. Wenn wir eine andere Person um ihre Zustimmung bitten, ist es daher wichtig, einen sicheren Rahmen zu schaffen, der signalisiert, dass jede Antwort zulässig ist und akzeptiert wird und dass eine negative Antwort keine veränderte Haltung gegenüber der Person nach sich zieht. Ein erster Schritt kann darin bestehen, nachzufragen, ob es der Person schwerfällt, ihr „Nein“ zu äußern, und das eigene Verhalten entsprechend zu reflektiern und anzupassen.
Erst wenn diese Grundlage geschaffen ist, können wir den anderen die volle Verantwortung für deren Zustimmung überlassen, ohne sie dabei zu bevormunden oder Entscheidungen für sie zu treffen. Jede*r ist für die eigene Zustimmung verantwortlich, gleichzeitig liegt es aber auch in der Verantwortung jeder Person, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Zustimmung der anderen zum Ausdruck kommen kann.
Ein „Ja“ ist nur dann wirklich bedeutungsvoll, wenn auch ein „Nein“ möglich ist.
Die Sicherheit, dass ein „Nein“ jederzeit möglich ist und unsere Grenzen gehört und respektiert werden, kann sogar unsere Lust fördern, wirklich „Ja“ zu sagen und aktiv zu interagieren. Selbst wenn das nicht der Fall ist, bleibt es wertvoll, die Grenzen der anderen Person zu kennen und zu respektieren.
Kleine Tipps
Du solltest dich immer bei einer Person bedanken, die ihre Grenzen setzt, denn das ist nie einfach.
Es ist oft leichter, mit einem „Ja“ als mit einem „Nein“ zu antworten. Wenn du merkst, dass deine Bezugsperson nicht mit einer Handlung (sei sie sexuell oder nicht) einverstanden ist, kannst du zum Beispiel fragen: „Möchtest du aufhören?“ statt „Möchtest du weitermachen?“. Wenn die Person keine Lust hat, weiterzumachen, fällt es ihr so meist leichter, dies auszudrücken, weil die Frage signalisiert, dass das Beenden der Interaktion eine völlig normale und akzeptierte Option ist.
Der Medusa Mythos
Unser Kollektiv wird oft gefragt, warum wir Medusa als Motiv für die „Ich habe Nein gesagt“-Karte gewählt haben. Ursprünglich stammt sie aus einem frauenfeindlichen Mythos, in dem Medusa entweder als hilfloses Opfer oder als bösartiges Monster dargestellt wird. Im Laufe der Zeit sich Medusa jedoch zu einer feministischen Ikone entwickelt, die diese sexistischen Erzählmuster umkehrt. Während die Gesellschaft und (cis) Männer sie immer wieder objektifizieren, behauptet Medusa ihre Rolle als aktives, begehrendes und handelndes Subjekt. Sie verwandelt den „male gaze“ in den „female gaze“. Und diejenigen, die versuchen, Medusa zu objektivieren und auf ihre Äußerlichkeit zu reduzieren, werden selbst zu Stein verwandelt… also wortwörtlich zum Objekt!
Eine kleine Zusammenfassung des Medusa Mythos und der feministischen Neuinterpretation kannst du hier finden:
Zur Vertiefung des Themas
Es gibt sehr viele weitere Ressourcen im Netz. Hier eine kleine Auswahl :












